Der vierte Prozesstag war wie auch der dritte Tag überwiegend geprägt von der stundenlangen Vorführung von Videos, die laut LKA Sachsen die Angreifer*innen auf ihrem Weg quer durch Budapest zeigen sollen. Davon abgesehen gab es neue Entwicklungen, die leider wenig erfreulich sind: Unter starkem Protest der Verteidigung ordnete das Gericht eine Vermessung von Hanna für den folgenden Tag an. Bei dieser soll mit fragwürdigen Methoden ein digitales 3D-Skelett erstellt werden, das dann mit Bewegungsabläufen auf Videos abgeglichen werden soll. Zudem wurde bekannt, dass der Verfassungsschutz versucht hat, an die persönlichen Daten der Besucher*innen zu kommen, die laut Verfügung des Gerichts am Ende eines jeden Sitzungstags vernichtet werden müssen.
Am 12.03.2025 begann recht pünktlich um 9:34 Uhr der vierte Prozesstag. Hanna wurde wie immer mit Applaus begrüßt. Einer der beiden Justizangestellten, deren Aufgabe im Wesentlichen darin besteht, zu schauen, dass auch wirklich alle im Publikum aufstehen, wenn die Richter*innen kommen, hatte entweder noch nicht ausgeschlafen oder tief in seinem Innersten doch gespürt, wer hier tatsächlich Respekt verdient hat. Jedenfalls forderte er ein*e Zuschauer*in sehr nachdrücklich auf, aufzustehen, dabei war ja Hanna und nicht der Senat des OLG in den Saal gekommen. Dieser folgte aber wenig später und den Genoss*innen im Publikumsbereich sollte nach dem erheiternden Beginn die Laune schnell wieder vergehen, denn aus dem Prozesstag sollte wieder eine stundenlange Videovorführung des LKA werden.
Doch zunächst wurde wieder auf den Vortag und die Vorschläge des Senats zur Vernehmung weiterer Zeug*innen Bezug genommen. In allgemeinem Einverständnis aller Beteiligten wurde beschlossen, die Befragung der Supermarktmitarbeiterin aus Budapest durch die Verlesung einer Übersetzung ihres Vernehmungsprotokolls zu ersetzen. Nicht einverstanden war die Verteidigung allerdings mit dem Vorschlag, die angegriffenen Faschos Rafal und Justyna Barnak sowie Bartlomiej Wilk nur per Video zu vernehmen. Deren Behauptung, dass ihre Sicherheit nicht gewährleistet werden könne, zog Rechtsanwalt Yunus Ziyal sehr in Zweifel. Sie sei zudem nicht begründet worden. Die Staatsanwältin Mand sah das wie zu erwarten anders, aber der Vorsitzende Richter Stoll sagte zu, dass er sich nochmal darum bemühen werde, die drei nach München zu bekommen, auch wenn das schwierig sei.
Und damit startete dann Teil 2 der Videovorführung „Die schönsten Tramstrecken Budapests“ mit dem bereits bekannten Live-Kommentator LKA-Bullen Neugebauer. Diesmal wurde der Weg derjenigen, die aus seiner Sicht die Täter*innen waren, vom Tatort bis zurück zur Wohnung verfolgt. Direkt zu Beginn fing Neugebauer an, über den Tascheninhalt einer Person im Video zu spekulieren und wurde prompt von Rechtsanwalt Yunus Ziyal eingebremst. Es entwickelte sich eine Diskussion mit dem Vorsitzenden Richter Stoll, in der man sich darauf einigen konnte, dass Neugebauer zumindest Spekulationen unterlassen sollte. Neugebauer hatte immerhin über Nacht seinen Unterhaltungswert nicht verloren und übte sich weiter in kuriosen Umschreibungen des zu sehenden. Die ungarischen Bullen hatten nicht nur öffentliche Überwachungskameras gesichert, sondern unter anderem auch die einer Bäckerei oder um es in den Worten von Neugebauer auszudrücken „ein Shop, der Backwaren oder Dinge, die aussehen wie Backwaren, in der Auslage hat“. Auch am zweiten Prozesstag zeigte sich wieder, wie krass die flächendeckende Videoüberwachung Budapests ist. Mehrere Kameras schwenkten automatisiert und zoomten auch immer wieder in hoher Auflösung. Um 11:31 Uhr hatte das Leiden dann für alle vorerst ein Ende: Nach der Vorführung von insgesamt 93 Videos an zwei Prozesstagen wurde Neugebauer entlassen und auch alle anderen durften in die Mittagspause.
Nach der Pause wurde der Verteidigung ein Schriftsatz der Generalbundesanwaltschaft überreicht. Rechtsanwalt Yunus Ziyal erbat sich zumindest zwei Minuten, um diesen lesen zu können. Wie sich herausstellte handelte es sich um eine Verfügung zur Vermessung von Hanna für die Erstellung eines digitalen 3D-Skelekts, das dann mit den Personen auf den Videos abgeglichen werden soll. Die Verteidigung hatte dieser Vermessung widersprochen. Die Vertreterinnen des GBA argumentierten nun die von der Verteidigung angeführten Gerichtsurteile bezögen sich auf Fälle, die nicht vergleichbar wären. Hier hätten die Gerichte argumentiert, dass nur sehr schlechtes Videomaterial vorliege und das Vermessungsverfahren in diesem Fall nicht verlässlich genug sei. In diesem Prozess lägen allerdings qualitativ gute Videos vor und die Vermessung diene nur der Beschaffung zusätzlicher Informationen, wäre also nicht das Hauptbeweismittel, auf das sie sich stützen würden. Die Verteidigung widersprach dieser Argumentation. Vielmehr würden die Urteile darauf hinweisen, dass der Erkenntnisgewinn der Vermessung gleich 0 sei, da viel zu wenige Vergleichsdaten vorlägen. Der Eingriff in Hannas Privatsphäre stehe dazu in keinem Verhältnis (mehr zur sehr fragwürdigen Metodik der digitalen Forensik und dem zur Beauftragung vorgesehenen Forensic Science Investigation Lab der Hochschule Mittweida erfahrt ihr unter https://de.indymedia.org/node/498222).
Nach diesem Einstieg in den Nachmittag ging es weiter getreu dem Motto „nach der Pause kommt der Krause“. Denn der noch sehr jungenhaft wirkende Bulle des LKA Sachsen namens Krause, der den Bericht zum nächsten Tatkomplex verfasst hatte, nahm nun den Platz im Zeugenstand ein. Bezogen auf den Angriff auf den Fascho Tóth, zu dem das Video des Angriffs auch online verbreitet worden war, wiederholte sich nun das gleiche traurige Schauspiel. Der Senat versuchte, das Ganze nun zumindest etwas zu beschleunigen und übersprang einige Videos, die nur Ausschnitte aus bereits gesehenen Zusammenschnitten zeigten. Insgesamt gelang es dem Gericht aber erneut nicht, die LKA-Bullen einzubremsen, sodass auch trotz deutlichen Überziehens nach dem zweiten Videotag erst etwa die Hälfte der Videos vorgeführt waren. Im Unterschied zum vorherigen Tatkomplex gab es diesmal auch deutlich erkennbare Aufnahmen des vermeintlichen Angriffs selbst. Dabei hatten sich die Bullen erdreistet, diese so zu schneiden, dass sie nach den letzten vermeintlichen Tathandlungen endeten. Zumindest war eine Richterin so aufmerksam und forderte, die ganzen Videos zu zeigen, auf denen erkennbar war, dass Tóth direkt nach dem Angriff aufstand, seine Sachen einsammelte und zur nächsten Hausecke wegging, was die These eines versuchten Mords, doch sehr abwegig erscheinen lässt. Andererseits übernahm die Richterin in ihrem Eifer auch den Job der Staatsanwaltschaft und zeigte mehrere Videos, die sie eigenständig angefordert hatte, weil ihr aufgefallen war, dass diese gefehlt hatten. Gegen 16 Uhr hatte die Videovorführung ihr Ende für diesen Tag erreicht. Krause bekam wieder eine Pause und wurde entlassen. Er wird aber ein weiteres Mal geladen sein und dann wird es auch zu einer von der Verteidigung bereits angekündigten Erklärung zum Zeugen kommen.
Auf die Videoshow folgte der nächste Tiefpunkt: Der Vorsitzende Richter Stoll erklärte, er ordne die Vermessung von Hanna durch Professor Dirk Labudde von der Hochschule Mittweida an. Hanna habe dafür in kurzer Sporthose oder Boxershorts und mit ärmellosem Top zu erscheinen. Wenn sie nicht freiwillig mitmache, könne sie auch mit Gewalt gezwungen werden. Die Methode sei nicht generell untauglich, wie von der Verteidigung behauptet. Diese Entscheidung wurde von der Verteidigung beanstandet. Der Senat forderte daraufhin eine sofortige Begründung der Beanstandung, was die Verteidigung kritisierte, da sie erst sehr kurzfristig davon erfahren habe. Das Vorgehen des Gerichts sei zwar StPO-konform, aber messe dem Schutz der Rechte der Angeklagten keine große Bedeutung zu. Auch wisse die Verteidigung kaum im Voraus, welche Zeug*innen geladen seien, um sich vorzubereiten. Zu nächster Woche sei z.B. nur ein Zeuge bekannt (der angeblich angegriffene Fascho Tamás Pál Lipták). Der Vorsitzende Richter Stoll erklärte, sie bekämen auch alle Infos sehr kurzfristig und es sei daher nicht anders möglich, es stecke keine Strategie gegen Hanna dahinter. In Bezug auf die Vermessung verwiesen Verteidigung und Generalbundesanwaltschaft auf die bereits vorgebrachten Gründe. Das Gericht folgte der Staatsanwaltschaft und ordnete die Vermessung für den nächsten Tag an.
Mit Blick auf nächste Woche wird zum Einen der Fascho Lipták erwartet, zum Anderen sollen weiter Videos gesichtet werden. Auch wenn unklar ist, ob Lipták wirklich auftaucht, wollen wir an dieser Stelle nochmal eindringlich dazu aufrufen, nächste Woche den Prozess solidarisch zu begleiten. Gerade wenn Faschos vor Gericht die Bühne bereitet wird, ist solidarische Unterstützung enorm wichtig,
Zum Abschluss dieser Prozesswoche möchten wir noch auf eine Information eingehen, die kürzlich bekannt wurde: Beim Einlass werden die Persos von allen Besucher*innen kopiert. Laut Verfügung des Gerichts müssen diese Kopien nach dem Prozesstag vernichtet werden. Sie sollen nur genutzt werden, wenn es zu Störungen kommt. Als aktive Antifaschist*innen waren wir nun aber wenig überrascht, dass dennoch der Verfassungsschutz auf die Ausweiskopien zugreifen wollte. Der Vorsitzende Richter Stoll hat dies abgelehnt, aber uns ist klar, dass mit derartigen Methoden beim VS jederzeit zu rechnen ist. Sie setzen alles daran, Antifaschist*innen unter Druck zu setzen und zu spalten. Das werden wir nicht zulassen: Was ihr auch macht, wir werden Hanna in diesem Prozess weiter solidarisch begleiten. Wir lassen uns von euch nicht einschüchtern und weichen in unserer Position keinen Millimeter zurück. Denn wir wissen, dass wir auf der richtigen Seite stehen und nicht ein von Nazis aufgebauter Geheimdienst, der auch heute hochrangige Nazis auf der Gehaltsliste hat. Grüße an unsere fleißigen Leser*innen hinter den Bildschirmen unserer Lieblingsbehörde gehen raus.