29.05.2025 – Bericht vom 13. Prozesstag

Während Hanna den Gerichtsraum betritt, applaudieren die in etwa 20 solidarischen Prozessbegleiter:innen im Publikum.

Als der Vorsitzende Richter Stoll nach einer Osterpause am 29. April 2025 den 13. Prozesstag eröffnet, herrscht im Zuschauer:innenraum angesichts der endlich wieder funktionsfähigen Mikrofonanlage Erleichterung.

Der Vorsitzende Richter erläutert das Programm für den Prozesstag: nachdem sich Zeuge Lohse krank gemeldet hatte, werden nur Zeugin Postrazki (phonetisch) der Kriminalpolizeiinspektion Chemnitz und Zeugin Flug, die im BKA nach wie vor mit dem sog. Budapest-Komplex beschäftigt ist, vernommen.

Frau Postrazki gibt in ihrer Vernehmung an, im Ermittlungsverfahren als Wiedererkennerin tätig gewesen zu sein. Ihre Aufgabe erschöpfte sich darin, im Weg des Vier-Augen-Prinzips den Bericht von ihrem Kollegen zu verifizieren, in welchem im Auftrag des LKA Sachsen um eine Bestätigung korrespondierender Bilder aus Budapest mit Passbildern der Beschuldigten gebeten wurde.

Postrazki hatte das am Kommissariat Chemnitz 2022 mit anfänglich dreistelligen Bewerber:innen gestartete Wiedererkenner-Verfahren durchlaufen und ist nun neben Polizist Lohse als hauptamtliche Widererkennerin (engl.: Superrecogniser) beschäftigt.

Der vorsitzende Richter stellte anfänglich überwiegend Fragen zum Auswahlprozess der sogenannten Superrecogniser in Chemnitz und zu Wissenschaftlichkeit und Evidenz der Methode. Schnell erschöpften sich die Ausführungen der Zeugin zu einer objektiv nachvollziehbaren Methode, als Richterin Wosylus die Zeugin bat, anhand einer Bildergegenüberstellung einer beschuldigten Person aus dem vorliegenden Bericht Einblicke in ihren Arbeitsprozess zu geben. Die Zeugin schildert, ihre Fähigkeit, Personen wiederzuerkennen, sei eher „ein Gefühl“, „es macht Klick im Kopf“ und sei „nichts wissenschaftliches“. Der vorsitzende Richter stellt die entscheidende Frage, die sich auch den Zuschauer:innen aufdrängte: „Können sie uns anders davon überzeugen, sie hätten besondere Fähigkeiten, außer, dies zu behaupten?“ – zwar verfügt die Zeugin über ein Zertifikat, welches die Testergebnisse des Auswahlverfahrens aufführt, jedoch erscheint es augenscheinlich, dass die Fähigkeit einer guten Gesichtswiedererkennung nicht als Beweismittel in einem Gerichtsverfahren dienen kann – die Zeugin wieß darauf hin, dass die Vorgänge Ermittlungshinweise seien und keine Gutachten. Eine Statistik führe die KPI Chemnitz nicht über die Erfolgsquote der Arbeit der hauptamtlichen Wiedererkenner – angesichts menschlicher Fehlerquote und dem Interesse der Polizei, in Ermittlungsverfahren Beschuldigte ausfindig zu machen, stellt sich bei der Einbeziehung von Superrecognisern in Ermittlungsverfahren unweigerlich ein mulmiges Gefühlt ein.

Neben den Zweifel der tatsächlich existierenden Wiedererkennungsfähigkeit der Zeugin werfen auch die Zuständigkeiten, Verfasser:innen und Unterschriften unter den Berichten der „Superrecogniser“ aus Chemnitz Fragen auf. Einige Berichte, die mit der Unterschrift der Zeugin unterzeichnet wurden, mag diese nicht kennen, auf anderen ist die Unterschrift von Frau Sekula (phonetisch), der Koordinierungsleiterin, ohne dass diese aktiv an den Ermittlungen beteiligt war. Auch der vorsitzende Richter Stoll wunderte sich zunehmend über die Verantwortungskonfusion in der Kriminalpolizeiinspektion Chemnitz.

Der in Rede stehende Bericht besteht aus der bildlichen Gegenüberstellung der 20 Beschuldigten der Taten in Ungarn, wobei Gesichter aus dem Bildmaterial von Überwachungskameras aus Budapest (z.T. sehr verpixelt) neben Passbilder aufgereiht werden. Beachtlich bei der Überprüfung des Berichtes durch die Zeugin ist, dass diese lediglich die gegenüberstehenden Bilder verglichen hat und nicht etwa aus einem Pool an Bildern die entsprechenden Gesichter nochmals zugeordnete, um so das korrekte Ergebnis des Kollegen zu verifizieren. Auf dezidierte Nachfrage des Gerichts sagte die Zeugin aus, bei der Prüfung des Berichts habe sie keine Zweifel gehabt, auch wenn dies angesichts der in Teilen stark verpixelten Aufnahmen aus Budapest schwer nachvollziehbar erscheint.

Nachdem die Zeugin Postrazki unvereidigt entlassen wurde, begann nach einer fünfzehnminütigen Pause um 10:28 die Vernehmung der Zeugin Flug.

Im Anschluss an die Belehrung, während der Aufnahme der Personalien, waren einzelne erheiterte Lacher im Publikum zu hören, als die Zeugin neben ihrem Vornamen auch keine Auskunft bzgl. ihres Alters geben wollte. Nachdem auch der Richter von dieser Verweigerung leicht irritiert schien, schiebt sie nach, sie sei 37. Die Zeugin arbeitet als Kommissarin beim BKA in der Zentralstelle für den Phänomenbereich politisch motivierte Kriminalität von links und ist seit den zur Last gelegten Taten in Budapest Teil des Lagezentrums des BKA zum sog. Budapest-Komplex. Dabei ist sie insbesondere zuständig für die Informationserfragung und -weitergabe zwischen ungarischen Polizeibehörden und den zuständigen LKAs in Sachsen, Thüringen und Berlin.

In der Befragung als Zeugin schilderte sie die Ereignisse und Vorgänge rund um die polizeilichen Ermittlungen sehr detailliert, wie etwa der Identifizierungsprozess in den LKAs nach Übersendung von Bildmaterial aus Ungarn und das weitere Vorgehen bis zum Erlass europäischer Haftbefehle.

An mehreren Stellen betonte die Zeugin, dass eine sichere Identifizierung der Beschuldigten durch die deutschen Behörden vor einer Informationsweitergabe nach Ungarn priorisiert wurden.

Im Folgen wird eine Tabelle in Augenschein genommen, in der die Zeugin alle vermeintlich Tatbeteiligten samt vorgehaltener Tatkomplexe aufgeführt hatte, sowie erneut eine Gegenüberstellung von Bildmaterial aus Ungarn und Zuordnung der fotografierten Personen mit Identitäten und Passbildern. Die auf deutsch verfasste Gegenüberstellung sei laut Zeugin so bereits in Ungarn erstellt worden – eine ungarische Vermittlungsbeamtin spreche fließend Deutsch, weshalb auch der Schriftverkehr anfangs nahezu ausschließlich auf Deutsch abgehalten worden sei.

Bemerkenswert ist zudem, dass die Zeugin angibt, mehrere der Verdächtigen bereits vor der ersten Einsichtnahme des Bildmaterials bei einer Videoschalte mit der ungarischen Polizei wiederzuerkennen, und zwar aus dem sog. Antifa Ost Verfahren.

Die Identifizierungen der Tatverdächtigen hat laut Zeugin das LKA Sachsen und LKA Thüringen durchgeführt, da das Lagezentrum keine eigene Ermittlungsarbeit vorgenommen hat, sondern vielmehr als Ort diente, an dem sämtliche Informationen zusammengeführt und koordiniert wurden. Nach wie vor sind laut Zeugin zwei der zwanzig Beschuldigten nicht identifiziert, wobei einer dieser Personen von ungarischer Seite auch keine unmittelbare Tatbeteiligung zugeschrieben wird.

Auf Nachfrage des vorsitzenden Richters, ob außer Lichtbildern oder Kenntnisse von Tatverläufen noch anderes Informationsmaterial aus Ungarn übermittelt worden sei, erläutert die Zeugin, dass aus einer Durchsuchung ein Handy mit etwa fünf bis zehn Kontaktnummern ausfindig gemacht wurde. Diese Rufnummern überprüfte die Zeugin im Rahmen einer Anschlussinhaberfeststellung, wobei sie zu dem Ergebnis gelangte, dass die Person, auf die sämtliche Rufnummern zugelassen worden waren, nach Auskünften der Einwohnermeldebehörde nicht existent ist.

Aus den Erkenntnissen des sog. Antifa Ost Komplexes schlussfolgerte die Zeugin, dass es sich vermutlich um ein sog. Aktionshandy handele, und übermittelte diesbezüglich Kenntnisse an die ungarische Polizei. Die Aktionshandys zeichnen sich laut Zeugin durch kurzzeitige, anlassbezogene Nutzung unmittelbar vor und/oder während der Aktion aus. Nach einer Nachfrage des Rechtsanwalts Ziyal, ob Untersuchungen zu Verhältnissetzung von Registrierung und Aktivierung erfolgt sind, also auf welche Tatsachen sich die Parallelisierung zum Modus Operandi im Antifa Ost Verfahren stütze, entsponn sich zwischen der Zeugin, verschiedenen Richter;innen und den Anwälten von Hanna eine Diskussion rund um die Zulassung einer Rufnummer mit falscher Identität, SIM-Kartenvalidierungsstellen (welche wohl bei vorliegender SIM-Karte ein Späti in Berlin gewesen sein soll), und divergierenden zeitlichen Abläufe bzgl. Kauf, Validierung und erster Benutzung der SIM-Karten.

Aufgrund der Komplexität des Sachverhalts weist Stoll darauf hin, die Frage nach der Aktivierung der SIM-Karten an anderer Stelle im Verfahren erneut aufgreifen zu wollen.

Auf die Nachfrage einer der Richter:innen, welche Erkenntnisse aus Ungarn zu den vermeintlichen Aktionshandys und deren Nutzung in Bezug auf die vorgeworfenen Taten in Budapest übermittelt wurden, erteilt die Zeugin die Auskunft, dass eins der Handys in einer Funkzelle an einem Tatort eingeloggt war, diese Information wurde im Rahmen der justiziellen Rechtshilfe übermittelt, mehr wisse sie polizeilich aber auch nicht.

Um 11:42 Uhr wurde die Zeugenvernehmung für die Mittagspause unterbrochen und um 13:08 Uhr weitergeführt.

Im Folgenden ging die Zeugin insbesondere auf die nichtdeutschen vermeintlichen Tatbeteiligten ein, wobei auch über die Auslieferungsgesuche aus Ungarn gesprochen wurde.

Nach weitläufigen Ausführungen zu den italienischen Beschuldigten, welche überwiegend aus dem Raum Mailand kämen, schloss die Zeugin mit dem Fazit, dass sich zwischen den italienischen und deutschen Verdächtigen „kein Kennverhältnis rekonstruieren“ lasse, was wiederum Erheiterung unter den Zuschauer:innen hervorrief.

Im Anschluss der Befragung der Zeugin durch den vorsitzenden Richter stellte Rechtsanwalt Ziyal Zeugin Flug die Frage, ob ihre Behörde in die Auslieferung von Maja nach Ungarn involviert war. Sie schilderte daraufhin nur, dass Sirene, eine Art eigene Behörde innerhalb des BKA, zuständig sei für die Bearbeitung europäischer Haftbefehle. Daraufhin hakte Ziyal kritisch nach: auf die Frage, ob die Behörde denn bei der konkreten Herausschaffung involviert war, antwortete die Zeugin, das BKA habe keinen Transport oder ähnliches übernommen. Auf die erneute Rückfrage, ob das BKA in sonstiger Weise involviert war, etwa bei der Erteilung von Auskünften oder Lageeinschätzungen, verneinte die Zeugin und verwies nur auf den dazu offiziell erforderlichen Schriftverkehr, der seitens ihrer Behörde wohl getätigt wurde.

Um 13:49 wurde die Zeugin Flug unvereidigt entlassen, an die Anwälte und die Oberstaatsanwältinnen der Bundesanwaltschaft wurde ein Konvolut von Unterlagen herausgegeben, unter anderem eine Ablichtung des Urteils betreffend eines anderweitig Verfolgten, da das Urteil am folgenden Prozesstag verlesen werden soll. Da das Konvolut auch das Beweisprogramm für die Zeugenvernehmung beinhaltete, wurden alle Zeug:innen bis auf Frau F. für den kommenden Prozesstag abgeladen, damit ausreichend Zeit für die Vorbereitung der Befragung bleibt.

Neben der Vernehmung der Zeugin F. ist für den 14. Prozesstag ein umfangreiches Verleseprogramm geplant.