technische Probleme und 3.400€ Ordnungsgeld
Der 26. Prozesstag beginnt ausnahmsweise um 9 Uhr, geladen ist für den Vormittag der angeblich Betroffene Soltan Tóth. Die Zeugin C. ist für den Nachmittag geladen.
Da sich Soltan Tóth weigert persönlich einzureisen, wird versucht eine audiovisuelle Vernehmung durchzuführen. Gleich am Anfang stellt sich heraus, dass der Verbindungsaufbau nicht ohne Hindernisse gewährleistet werden kann. Noch bevor der leitende Richter Stoll den Prozess eröffnet, ertönt eine Computerstimme, dass die Verbindung nicht hergestellt werden kann. Dies zieht sich durch den ganzen Vormittag, jede halbe Stunde erklingt die gleiche sympathische Computerstimme und teilt uns mit dass wir der einzige Teilnehmer im Meeting sind.
Bereits nach den ersten 20 Minuten, breitet sich sichtbare Langweile im Saal aus, die ersten Wächter*innen des recht staubigen Justizapparats scrollen gelangweilt durch ihre privaten Handys. Richter Stoll beschließt die Wartezeit mit dem Verlesen zweier Sachakten zu überbrücken. Es wird aus zwei übersetzten ungarischen Polizeiakten vorgelesen: Der Inhalt der ersten Akte, gerichtet an die Ermittlungshauptabteilung, war sehr überschaubar und handelte primär um personenbezogene Daten wie etwa der Wohnort der Studentin N.
Die zweite Akte beinhaltete Auskunft der ungarischen Bildungsbehörden über weitere persönliche Informationen von N. sowie einige Schilderungen eines Briefkastenaufklebers einer Wohnung in Budapest und Namen daran. Laut dem Gericht ist nicht klar wer diese Akte angefertigt hat, da die Unterschrift darunter unleserlich war.
Um 9.30 unterbricht Richter Stoll die Verhandlung, um nun doch einen Kontakt via Telefon nach Ungarn herzustellen. Es stellt sich heraus dass die Zusammenarbeit zwischen den Gerichtsbehörden nicht in erwartbarer Form vorbereitet wurde. So mussten die Dolmetscher*innen erst versuchen eine Telefonnummer der ungarischen Gerichtsbehörden herauszufinden.
Bis 11:40 waren die einzigen verständlichen Aussagen, die Durchsagen der mittlerweile gewohnten Computerstimme, dass wir immer noch die einzigen Teilnehmenden des Meetings sind. Richter*innen, Dolmetscher*innen, Anwält*innen etc. beraten sich währenddessen unhörbar auf ihren Plätzen im Flüsterton.
11:41 wird nun doch mit einem überschaubarem Inhalt des Vormittags bis 13:12 zur Mittagspause aufgerufen.
Um 13:12 stellt Stoll schon merklich gestresst die Frage ob nun der Kontakt nach Ungarn hergestellt werden konnte. Die Antwort war überraschenderweise Ja, aber der Telefonkontakt aus dem ungarischen Gericht konnte nicht weiterhelfen, es ist scheinbar nur ein Mitarbeitender anwesend, der keinen IT-Zugriff oder IT-Support hat. Die Vernehmung von Tóth soll am nächsten Prozesstag nachgeholt werden. Der Gerichtsmediziner Dr. Eisenmenger und die Dolmetscher*innnen werden daraufhin für diesen Tag entlassen.
Im Anschluss wird es interessanter: Der Rechtsanwalt Stolle verliest eine Erklärung über die Identifizierungsmethode von Dirk Labudde: „Aus den Ausführungen können keine Rückschlüsse auf die Frage, ob es sich bei der uwP15 um die Angeklagte handelt, gezogen werden“. Dirk Labudde hat in seinen Ausführungen selbst gesagt, dass es sich nicht um eine Identifizierungsmethode handelt („Wir haben sie nicht identifziert… ich kann Ihnen eine Wahrscheinlichkeit angeben“). Die Methode ist noch in der Entwicklung, und benötigt weitere Forschung. Dirk Labudde ist der Einzige weltweit, der mit exakt dieser Methode arbeitet.
Im weiteren werden viele technische Informationen über die Methode genannt, unter anderem, dass sich Fehler und Messungenauigkeiten summieren können, da die Methode zum Teil manuelle Eingabe benötigt. Die Vermessungsdaten, die zu H.s Beschuldigung führten, waren außerdem nicht wie im Vermessungsprotokoll der Methode vorgesehen, erfasst worden.
Um 13.48 wird die Sitzung kurz unterbrochen, (mittlerweile 2 Dutzend solidarischer Prozessbeobachtenden anwesend).
Es folgt die Vernehmung der Zeugin C. in Begleitung eines Zeugenrechtsbeistands. Bereits bei der Belehrung der Rechte der Zeugin stellte der Richter die Rechtsauffassung vom Rechtsbeistand in Frage. Dieser beruft sich in seiner Erklärung auf das Auskunftsverweigerungsrecht nach §55 StPO. Der Richter sieht dies nicht gegeben und liest zur Beweisführung Chats von einem Handy, sichergestellt bei C.s Wohnungsdurchsuchung, vor. Es geht um das Mieten einer AirBnB-Wohnung in Budapest. Diese Wohnung solle von angeblich Tatverdächtigen genutzt worden sein. Aus den Chats geht, laut dem Richter, hervor dass die Zeugin C. von der unterstellten Nutzung der Wohnung nichts wusste, daher greift § 55 hier nicht! Der Rechtsanwalt besteht weiter auf den §55 StPO weil es in H.s Verfahren auch um Vorwürfe nach §129 StGB geht, die auch zur Unterstellungen seitens des Gerichts gegenüber seiner Mandantin führen könnten. Richter Stoll sieht keinen Raum für umfassendes Zeugnisverweigerungsrecht und besteht somit auf der Befragung. C. und ihr Anwalt bleiben stabil und verweigern trotzdem jede weitere Aussage. Nach einigen unbeantworteten Fragen droht Richter Stoll mit einem Ordnungsgeld von 1000€ oder gar Beugehaft. C.verweigert weiterhin jede Aussage.
Um 14.31 unterbricht Richter Stoll die Verhandlung für eine halbe Stunde, um sich mit den Staatsanwält*innen zu besprechen. Die halbe Stunde war ein wenig länger, um 15:24 wird die Sitzung erneut eröffnet. Das Ordnungsgeld von 1000€ wird wirklich erhoben gegenüber C. Von Beugehaft wird „großzügigerweise“ aufgrund der „Verhältnismäßigkeit“ momentan abgesehen. Die Zeugin und ihr Beistand werden unvereidigt entlassen. Als sie den Saal verlassen gibt es von einzelnen solidarischen Prozessbeobachtenden Applaus. Nun werden Wächter beauftragt die Personalien der Klatschenden aufzunehmen, die Wächter scheinen mit 6 Personen schon an den Grenzen ihrer Kapazität zu sein, um 15:41 scheinen sie mit der schieren Menge an Ausweiskopien (6!) endlich fertig zu werden.
Richter Stoll unterbricht mal wieder die Sitzung und fordert die Festhaltung der Personen. Rechtsanwalt Ziyal beantragt Unterbrechung zwecks Beratung mit H. über einen unaufschiebbaren Antrag, Stoll besteht aber davor auf Vernehmung der des Applauses beschuldigten Personen. Alle verweigern die Aussage. Stoll verhängt zum krönenden Abschluss dieses produktiven Tages für jede der 6 Personen ein Ordnungsgeld von 400€. Die Beratung über den von Ziyal geforderten Antrag wird mit einer Frist bis zum Ablauf des nächsten Sitzungstages verschoben. 16:04 wird der Prozess beendet, nach Ende gibt es trotz der vorherigen Ereignisse nochmal Applaus.