5 Jahre Haft und Aufrechterhaltung des Haftbefehls – so lautet die Entscheidung des Oberlandesgerichts München, das Richter Stoll im mit soldarischen Genoss*innen voll besetzten Gerichtssaal verkündete.
Bereits vor Beginn des Prozesses gab es diesmal wieder eine Kundgebung vor dem Eingang des Gerichtssaals, gut 100 Menschen kamen, um ihre Solidarität zu zeigen und den letzten Prozesstag zu begleiten.
Die Justizbeamt*innen am Einlass ließen sich die Chance nicht nehmen, uns ein letztes mal zu nerven: Sie verkündeten, man dürfe heute keine Zettel mitnehmen und bekomme auch keinen Stift von ihnen. Auf die Nachfrage nach der Begründung kamen erst mal 20 Sekunden
Schweigen, dann fragte einer, was man denn heute überhaupt mitschreiben wolle, es sei ja nur die Urteilsverkündung. Sie wiesen auf eine neue Sicherheitsverfügung hin, die angeblich aushänge. Dort stand aber ausdrücklich: Stifte werden vom Gericht bereitgestellt. Beim nächsten Nachfragen erwischten die Genoss*innen scheinbar einen Beamten von höherem Rang, er erklärte, dass Zettel erlaubt seien, aber ihm die Kugelschreiber ausgegangen seien, weil „wir“ (die solidarischen Prozessbegleiter*innen) die nie zurück gäben. Er habe neue bestellt, aber die seien nicht rechtzeitig angekommen, da könne man jetzt nichts machen, er schaue aber mal, ob er vielleicht noch einen Stift fände. Ca. 30 Minuten später wurde dann überraschend in Anwesenheit von Hannas Anwälten eine ganze Packung gefunden. Leider nicht die letzte und noch mit Abstand am wenigsten folgenschwere Lächerlichkeit des Gerichts an diesem Tag.
Im Saal waren viele Pressevertreter*innen und sehr viele Cops, der Beginn verzögerte sich ca. 30 Minuten, bis die Plätze im Zuschauer*innenraum mit solidarischen Genoss*innen gefüllt war. Als Hanna reinkam, gab es einen längeren Applaus, mit dem wir ihr und uns nochmal Mut machen wollten.
Der vorsitzende Richter wies wie so oft darauf hin, dass aus dem Zuschauer*innenbereich keine Äußerungen kommen dürften. Für Applaus oder Missbilligungen drohten die üblichen 1.000€ Ordnungsgeld oder eine Woche Ordnungshaft.
Dann kam das Urteil: Hanna wird für gefährliche Körperverletzung und der Mitgliedschaft in einer kriminellen Vereinigung im In- oder Ausland zu 5 Jahren Haft und der Übernahme der Verfahrenskosten verurteilt.
In der Begründung kommen schon bekannte moralische Argumente: Gewalt ist nie gut, „Menschen schlägt man nicht“, Selbstjustiz ist nicht okay und das staatliche Gewaltmonopol in Frage zu stellen noch weniger.
Dass die Rote Hilfe in einem Statement von einem „politischen Prozess“ schreibt, sei „nichts anderes als Teil einer Verschwörungsgeschichte“. Dass der Prozess am Oberlandesgericht verhandelt wurde, habe gute Gründe, z.B. dass die Taten geeignet seien, negative Auswirkungen auf das Erscheinungsbild Deutschlands im europäischen Ausland zu haben, auch das ungarische Gewaltmonopol sei in Frage gestellt worden. Der Sitzungssaal im Keller vom Knast sei nicht ausgewählt worden, weil man Hanna für so gefährlich halte, sondern weil man nicht wusste, was vom „Unterstützerkreis“ zu erwarten sei. Beim IS-Prozess den Richter Stoll ebenfalls leitet, scheint man den Unterstützerkreis offenbar als weniger gefährlich einzuschätzen. Ein bisschen Selbstbeweihräucherung darf natürlich auch nicht fehlen und so wird nochmal betont, dass der Senat nicht verpflichtet gewesen sei, bei jedem Prozesstag Hannas Kirschkernkissen in der Mikrowelle aufzuwärmen und sie durchaus Strafen für jeden Applaus hätten verhängen können.
Von folgendem Sachverhalt ist der Senat überzeugt: Die Beschuldigte E. und 2 Unbekannte hätten im August 2022 den Plan gefasst, in Ungarn zum Tag der Ehre 2023 „und falls erforderlich in den folgenden Jahren“ Personen der rechtsextremen Szene zu überfallen. Ihre Ziele seien 1. Unterbindung weiterer Aktivitäten der Angegriffenen, 2. Abschreckung anderer und 3. öffentliche Aufmerksamkeit für die Nazi-Azfmärsche am Tag der Ehre. Die Angriffe sollten nach einem ähnlichen Muster ablaufen wie die der Antifa-Ost und die Angriffe, die es bereits 2022 am Tag der Ehre in Budapest gegeben habe. Die Opfer, die mit Ausnahme von Zsoltan Tóth sehr gezielt und sorgfältig aufgrund ihrer politischen Aktivitäten ausgewählt worden seien, sollten dabei explizit nicht zu Tode kommen, Todeseintritte seien auch nicht billigend in Kauf genommen worden. Damit sieht der Senat im Gegensatz zur Staatsanwaltschaft die Voraussetzungen für versuchten Mord als nicht erfüllt an.
In der Beweiswürdigung wird auf die Gesamtschau aller Beweismittel und Indizien verwiesen, daraus ergebe sich die kriminelle Vereinigung. Die Indizien sind beispielsweise, dass 6 Personen in Budapest kontrolliert bzw. festgenommen wurden und dass mehrere der Beschuldigten auf der gleichen Schule waren. Auch das Geständnis von T., der von der Budapester Justiz für die kriminelle Vereinigung schuldig gesprochen wurde, wird genannt.
Dass es sich bei der UwP15 um Hanna handle, sei ebenfalls aus der „Gesamtschau“ der Beweismittel klar geworden, insbesondere aus den Videobildern und den darauf beruhenden Identifizierungsvermerken. Auch die Super Recignizerin des LKA, also eine Polizistin, die einfach angeblich die Fähigkeit besitzt, gut Leute zu erkennen, ohne das nachvollziehbar erklären zu können, wird als Indiz im Zusammenhang mit der Identifizierung genannt. Das forensische Gutachten von Dirk Labudde wird als „ergänzend“ mit in die Betrachtung aufgenommen, an der Genauigkeit und Zuverlässigkeit der Methode hat aber auch der Senat Zweifel. Aber schließlich habe das forensische Gutachten auch nicht ergeben, dass die unbekannte Person nicht Hanna sei.
Weitere herangezogene Indizien sind, dass Hanna politisch aktiv ist und dass sie den Beschuldigten T. kennen soll – hierfür wird auch der Bericht des Verfassungsschutzes herangezogen, die Verteidigung hatte der Verwertung des Berichts widersprochen. Einen Beweis, dass Hanna überhaupt in Budapest gewesen ist, bleibt das Gericht schuldig, es hätte aber auch nicht bewiesen werden können, dass sich Hanna zu dieser Zeit an einem anderen Ort aufgehalten habe.
Die Begründung, dass Hanna auch am Tatkomplex 5 beteiligt gewesen sein soll, bei dem es nur von An- und Abreisen Videomaterial gibt, aber nicht vom Angriff an sich, ist einfach: es gäbe keine Anhaltspunkte zur Annahme, sie hätte sich nicht beteiligt.
Die rechtliche Würdigung ist folgende: Die Gruppe hätte in den kommenden Jahren wieder angreifen wollen (für §129 braucht es eine längere Dauer der Zusammenschließung) und es waren mehr als 2 Personen beteiligt (auch eine Voraussetzung für ein Urteil nach §129). Unklar bleibt aber ob es sich um eine kriminelle Vereinigung im In- oder im Ausland (§129b) handelt.
In der „Vereinigung“ seien keine Hierarchien erkennbar, Hanna soll keine „Rädelsführerin“, sondern nur eine „Mittäterin“ gewesen sein.
In der Strafzumessung wurde zu Gunsten der Angeklagten berücksichtigt dass sie nicht vorbestraft ist, nur kurz Mitglied in der Vereinigung gewesen sein soll (wenige Tage) und dass sie in der U-Haft mit gesundheitlichen Problemen zu kämpfen hatte. Nicht strafmildernd angerechnet werden könne die „mediale Vorverurteilung“, die gab es aus Sicht des Senats nämlich nicht.
Zur Last gelegt wird, dass die Angriffe lange im Voraus geplant gewesen seien („mindestens ein paar Tage“) und dass ein erheblicher Aufwand in die Angriffe gesteckt worden sei (Zeit, Anreise). Hanna und die anderen hätten, „sich zu dem gemacht, was sie bekämpfen wollten“, nämlich zu Verfassungsfeinden und sich dadurch mit den Rechtsextremisten auf eine Stufe gestellt..
Am Ende richtete sich Stoll direkt an Hanna, er hoffe, dass sie jetzt verstehe, dass Gewalt nicht das passende Mittel für politische Auseinandersetzungen sei und Hanna ihre politische Meinungsäußerung in Zukunft auf die Kunst beschränke.
Dann verkündete Stoll noch den Beschluss, dass der Haftbefehl vom 2. Mai 2024 aufrecht erhalten wird. Hanna kann also nicht erstmal raus, um sich um ihre Gesundheit zu kümmern, sondern muss in Haft bleiben. Hanna und ihre Anwälte haben nun eine Woche Zeit, um ggf. Revision einzulegen.
Eine positive Anekdote zum Schluss: Stoll hat noch nie erlebt, dass eine Person so viele Briefkontakte in U-Haft hatte wie Hanna.
In diesem Sinne: Lassen wir uns von diesem politischen Urteil nicht entmutigen und weiter solidarisch für Hanna und die anderen Beschuldigten einstehen!
