Der 6. Prozesstag am 19.3. begann pünktlich um halb 10, Hanna betrat wieder unter Applaus den Raum. Noch bevor die Richter*innen in den Saal kamen, wurde eine Zuschauerin von einem Gerichtsbullen dazu aufgefordert, ihr T-Shirt zu bedecken. Auf dem Shirt waren die Namen und Gesichter der Ermordeten des rechten Terroranschlags am OEZ gedruckt.
Richter Stoll stellte zu Beginn den Tagesplan vor:
Es sollten weiter Überwachungsvideos geguckt werden, die gestern nicht mehr geschafft wurden oder chronologisch nicht gepasst haben. Anschließend sollten zwei Polizeizeugen gehört werden. Stoll kündigte an, pünktlich um 14 Uhr Schluss machen zu wollen. Mehrere Videos zum Tatkomplex 5 wurden mal wieder in Augenschein genommen. Hierbei handelte es sich um die Aufzeichnungen von Überwachungskameras in und vor dem Haus in Budapest, in dem Hanna und andere Personen übernachtet haben sollen. Danach betrat der Zeuge Furth vom LKA Sachsen den Gerichtssaal der JVA. Er war 2024 dafür verantwortlich einen Identifizierungsvermerk für eine Person (nicht Hanna sondern G.) die verdächtigt wird am Tatkomplex 5 beteiligt gewesen zu sein anzufertige
Furth – ein 26 Jähriger mit Vokuhila und der Wortwahl eines Rentners – erzählte dann im Schneckentempo wie er zu der Aufgabe kam: im Rahmen seines Studiums zum Polizeikommissar absolvierte er ein Praktikum beim LKA Sachsen. Hier wurden ihm von der Sachbearbeitung in einer Cloud vorsortierte Videos zur Verfügung gestellt, welche er für seinen Bericht über G. verwenden sollte (d.h. konkret: Ihm wurde vorsortiert welche Videos angeblich relevant sein sollten und welche nicht). Es folgte eine langwierige Erklärung, wie sich Furth den Tagesablauf von G. konstruiert hatte. Diese wurde von – bereits gezeigten- Videos begleitet. Kurz: Es sind Menschen in/vor einem Haus, einer Kneipe, in verschiedenen Bussen, wieder in einem Haus – irgendwann dazwischen sollen Faschos zu Schaden gekommen sein. Furth erklärte lang und breit wo und warum er G. auf den Videos erkannt haben will, das Wort „augenscheinlich“ fällt dabei minimum 10 mal. Er bezog sich bei seinen Äußerungen hauptsächlich auf Kleidungsstücke. Bei den anschließenden Nachfragen gab Furth an, vor Erstellung des Berichts nicht erkennungsdienstlich geschult worden zu sein. Die Frage, wer ihm die Videos zur Verfügung gestellt und vorsortiert habe, wollte er wegen seiner angeblich eingeschränkten Aussagegenehmigung nicht beantworten.
Es folgte die Vernehmung der Zeugin Kästner, Bullin beim LKA Sachsen, PMK links. Sie sei im Verfahren für das Anfertigen mehrerer Identifizierungsvermerke zuständig gewesen. Sie sollte zu ihrem Bericht zu L. befragt werden. Ablauf und Videos waren praktisch identisch wie beim vorherigen Zeugen. Es ging sehr viel um irgendwelche Kleidungsstücke und wann diese angeblich wie getragen wurden.
-11:30 – 12:30 Pause-
Zum Abgleich zog Kästner zwei Fotos von L., eins vom Einwohnermeldeamt, eins von Social Media, heran. Zu ihrer Methodik bei der angeblichen Identifizierung von individuellen Gesichtsmerkmalen gab es einige kritische Nachfragen der Verteidigung die darin endeten, dass Kästner anfing, das Gesicht von Hannas Anwalt zu kommentieren. Als nochmals nachgebohrt wurde wie viel Prozent der Bevölkerung denn diese und jene Gesichtsmerkmale aufweisen, antwortete sie schippisch, dass sie das ja wohl nicht wissen könne… ok. Generell schienen ihr kritische Nachfragen zu ihrem Bericht, ihren Methoden und den daraus folgenden Schlussfolgerungen eher weniger zu gefallen.
Auch sie wollte nicht sagen, wer die Vorauswahl der Videos übernommen hatte. Nach ihrer Entlassung (sie wird wegen anderer Personen in den kommenden Wochen erneut geladen) folgte eine Erklärung von einem der Anwälte: Er hält eine Anfrage beim LKA Sachsen nach einer Liste der Personen, die die erste Identifizierung der Beschuldigten in den Überwachngsvideos vorgenommen haben für sinnvoller als weitere Zeugen wie Furth und Kästner. Diese hatten lediglich die Aufgabe, „ihre Zielperson“ im jeweiligen Video zu bestätigen. Hauptsächlich taten sie dies anhand von veränderlicher Kleidung.
Zum Abschluss dieses kurzen aber trotzdem schrecklich langwierigen Verhandlungstages verlas Richter Stoll dann noch folgende Dokumente, die natürlich brennend spannend waren:
- Mehrere Seiten Text zu einem Bagatelldelikt, das Hanna 2020 zur Last gelegt wurde
- Übersetzter Bericht von Budapester Cops zum 9.2.2023
- Übersetzter Antrag auf Gesichtsanalyse Überwachungskamera vom 10.2.2023 (abgelehnt, weil Bildmaterial zu schlecht) Die Fotos wurden unter die Dokumentenkamera gelegt, wirklich sehr schlecht.
Nächste Woche sollen zwei weitere Polizeizeugen ihre Identifizierungsvermerke vorstellen.