Am neunten Prozesstag ging es ausschließlich um den Angriff auf die drei polnischen Faschos Rafal und Justyna Baran sowie Bartlomiej Wilk. Dazu waren zwei Zeug*innen geladen, die beide nicht wirklich viel Neues aussagen konnten. Zumindest beim Zeugen K., einem Sicherheitsmann aus Budapest, kam jedoch heraus, dass er kein ganz neutraler Zeuge war: die ungarischen Cops waren auf ihn gekommen, weil er auf der Facebookseite der Legio Hungaria geschrieben hatte, dass er den Angriff gesehen habe. Bei der Legio Hungaria handelt es sich um eine der Organisationen hinter dem Tag der Ehre. Die zweite Zeugin M. hatte auch schon in Budapest ausgesagt und wollte dort Maja wiedererkannt haben, was nicht recht zu ihren vagen Aussagen in Hannas Prozess passte. Die abschließende Verlesung der Krankenhausunterlagen der drei Faschos bestätigte schließlich, dass diese keine lebensbedrohlichen Verletzungen, sondern Prellungen und Brüche an Armen und Fingern davongetragen hatten.
Am neunten Verhandlungstag hatte sich das Personaltableau der Prozessbeteiligten leicht verändert. Statt Oberstaatsanwältin Mand war nun als Vertreter des GBA, Oberstaatsanwalt Vogler anwesend. Oberstaatsanwältin Brunschier war weiterhin da, schien nun aber nichts mehr zu melden zu haben. Zumindest sollte heute nur Vogler sprechen, der aber durch nicht all zu große Fallkenntnis auffiel. Zudem war Professor Eisenmenger, ein 81-jähriger Rechtsmediziner, als Sachverständiger anwesend. Da ungarische Zeug*innen vernommen wurden, durften auch zwei Dolmetscher*innen nicht fehlen. Im Fokus stand wie erwähnt der Angriff auf die drei polnischen Faschos Rafal und Justyna Baran sowie Bartlomiej Wilk, bei dem Hanna im Übrigen gar keine Beteiligung vorgeworfen wird.
Erster Zeuge war K., ein 36-jähriger Sicherheitsmann mit kräftiger Statur und sehr kurz rasierten Haaren. Er war erst kürzlich umgezogen. Um seine Adresse dem Gericht mitzuteilen und sie gleichzeitig geheim zu halten, durfte er sie auf einen Zettel notieren, den ein Justizcop dann an die Richter*innen übergab. K. hatte den Angriff aus 40-50 Metern Entfernung beobachtet, als er in seinem Job als Sicherheitsmann in einem Bürokomplex eine Zigarettenpause gemacht hatte. Recht viel mehr als, dass sieben bis acht Leute mit Teleskopschlagstöcken auf jemanden eingeschlagen hatten und eine Pfefferspraywolke, hatte er aber auch nicht gesehen. Nur bei einer Person, die auf der Flucht an ihm vorbeigerannt war, wollte er blonde Haare unter einer Mütze erkannt haben. Nach zwei Jahren hatte er nicht mehr alle Einzelheiten parat (beispielweise irrte er sich bei der Uhrzeit um zwei bis drei Stunden), was aber auch nicht sonderlich verwunderlich ist. Etwas seltsam wurde es aber, als er beschrieb, dass er dann am Abend in den Nachrichten und im Internet ein Video von der Tat und anderen Taten gesehen habe. Die anderen Taten waren aber erst später passiert. Zudem war das, was er auf dem Video zu der von ihm beobachteten Tat gesehen haben wollte, auf keinem der Videos von dieser Tat zu erkennen. Vielmehr erinnerte seine Beschreibung sehr an das öffentlich gewordene Video des Angriffs auf den vermeintlich Geschädigten Tóth, weshalb Verteidiger Ziyal vermutete, er müsse wohl die Videos und die Taten verwechseln. Spannend wurde es, als genauer auf seinen Facebookkommentar zur Tat eingegangen wurde. Durch diesen waren die ungarischen Cops erst auf ihn aufmerksam geworden. Er meinte, er hätte eben auf Facebook 30-45 Minuten nach dem Angriff einen Kommentar abgegeben, als dort bereits über die verschiedenen Angriffe in Budapest gesprochen worden sei. Weil die meisten Angriffe aber erst später passiert waren, fragte Bundesanwalt Vogler nach, ob er den Kommentar nicht doch vielleicht später verfasst habe. Da intervenierte der Vorsitzende Richter Stoll, indem er aus der ungarischen Akte vorlas, wonach K. den Kommentar am Tag der Tat auf der Facebookseite der Legio Hungaria hinterlassen hatte. Dass es sich bei K. politisch um einen neutralen Zeugen handelt, kann man also schon mal stark bezweifeln. Warum sonst sollte er die Facebookseite dieser Faschoorganisation besuchen und dort Kommentare hinterlassen? Zur Identifzierung von Personen war der Zeuge jedenfalls nicht tauglich. Zwar wies er in Videos immer wieder auf eine Person hin, die er wiedererkenne. Am Ende stellte sich aber heraus, dass das einzige, was er wiedererkannte, die Tatsache war, dass die Person einen Schlagstock in der Hand hielt.
Nach einer kurzen und frühen Mittagspause wurde die weitere Prozessgestaltung besprochen. Neben dem vermeintlich Geschädigten Tóth will auch eine weitere ungarische Zeugin aus Angst nicht vor Gericht erscheinen. Die Generalbundesanwaltschaft erklärte ihr Einverständnis, dass beide audio-visuell vernommen würden. Die Verteidigung erbat sich hierfür Bedenkzeit. Der Vorsitzende Richter Stoll verkündete zudem, dass nächste Woche unter anderem zwei Cops vom sächsischen LKA kämen. Fuhrmann-Fischer werde die Gesichtsgutachten vorstellen, Stäbel die Identifizierungsvermerke zu I. und Ga.
Dann ging es weiter im Programm des neunten Prozesstags mit der Vernehmung der Zeugin M. Diese arbeitete als Kellnerin im Café Anna, vor dem der Angriff passiert sein soll und stand nur wenige Meter entfernt. Sie schilderte, dass sie beobachtet habe, wie drei Leute von ca. fünf Personen angegriffen wurden. Einer (Rafal Baran) sei zu Boden gegangen und weiter geschlagen worden, eine Frau (Justyna Baran) habe versucht die Angreifer*innen zurückzudrängen und ein zweiter Mann (Bartlomiej Wilk) habe sich entfernt und Reizgas versprüht. Daraufhin wären die Angreifer*innen weggerannt. Sie habe die Frau beruhigt. Der Mann am Boden habe sich selbst aufgesetzt und sie habe dann seine Wunden desinfiziert und den Rettungswagen gerufen. Der zweite Mann habe geweint, weil er offenbar das versprühte Reizgas durch den Gegenwind selbst abbekommen hatte. Von den Cops habe sie zudem erfahren, dass es sich nicht um normales Pfefferspray, sondern ein illegales Reizgas gehandelt habe, das der Fascho Wilk offenbar dabeihatte. Interessant waren vor allem ihre vagen Angaben zu den Angreifer*innen. Einige Beispiele: „Kann es sein, dass Frauen dabei waren?“ – „Ich muss ehrlich sagen, ich war so schockiert, dass ich es nicht einschätzen konnte, aber ich schließe es nicht aus“. „Können Sie einzelne Personen genauer beschreiben?“ – „Alle waren schwarz gekleidet.“ Hier fügte sie noch an, dass sie in der Situation auch aus Angst nicht aufmerksam gewesen sei und später auf den Videos gesehen habe, dass sie verschiedenfarbige Jacken trugen. An sich sind solche Fehlwahrnehmungen und Erinnerungslücken nicht verwunderlich bei einer solchen Situation, in der sich die Zeugin befand. Es mag nur einfach partout nicht dazu passen, dass sie bei ihrer Aussage in Budapest wenige Wochen zuvor, Maja am Pferdeschwanz wiedererkannt haben wollte und auch weitere Angreifer*innen. Heute erkannte sie auf den gezeigten Bildern jedenfalls niemanden. Ansonsten gab es nur noch zur Belustigung des Publikums große Verwirrungen über die verwendeten Schlagwerkzeuge. M. beschrieb diese als Baseballschläger. Später habe man ihr aber gesagt, das seien keine Baseballschläger, sondern Tonfas. Dummerweise wusste niemand, was denn nun ein Tonfa sei. Die Zeugin wusste es nicht, die Richter*innen nicht, der Sachverständige auch nicht. Ein Dolmetscher googlete (wie auch immer in einem Saal ohne Internet), es habe etwas mit Fässern zu tun. Die anwesenden Bullen, die nur zu gut wissen müssten, was ein Tonfa ist, den sie schließlich vielen von uns schon mal über den Kopf gezogen haben, hielten den Mund, schließlich hatte ihnen auch niemand den Befehl erteilt, zu sprechen. Im Weiteren ging es dann darum, welche in den Videos zu sehenden Gegenstände die Zeugin nun mit Baseballschläger/Tonfa meinte. Klarheit konnte diesbezüglich nicht hergestellt werden.
Abschließend wurden an diesem recht kurzen Prozesstag nur noch die Berichte aus dem Krankenhaus zu den drei angegriffenen Faschos verlesen. Neben endlosen Zahlen- und Buchstabenfolgen ging daraus hervor, dass Wilk keine sichtbaren Verletzungen hatte, Justyna Baran eine gebrochene Elle, eine Risswunde und eine Schädelprellung und Rafal Baran eine Schädelprellung, eine Schulterprellung, zwei gebrochene Finger und eine Risswunde am Hinterkopf. Allen wurde Erholung empfohlen, bleibende Schäden waren nicht zu erwarten. Der Sachverständige Professor Eisenmenger wirkte dezent überfordert, woraufhinder Vorsitzende Richter Stoll hämisch sagte, dass der Sachverständige es ja hoffentlich gewohnt sei, dass schnell gelesen werde. Dieser bejahte dies, wollte aber nochmal sichergehen, dass er auch eine Kopie von den Unterlagen bekäme. Noch vor 14 Uhr endete dann der Prozesstag und Hanna verließ wie gewohnt unter Applaus den Saal.