03.04.2025 – Bericht vom 10. Prozesstag

Der zehnte Prozesstag hatte im Wesentlichen zwei Bestandteile: Die Bullin Büttner der SOKO LinX stellte den Identifizierungsvermerk von Hanna vor, der aus Sicht der Verteidigung aber keine Identifizierung hergab. Wie bei den bereits vorgestellten Vermerken wurde zwar klar, wie die Cops darauf kamen, dass es sich auf verschiedenen Bildern möglicherweise um die selbe Person handeln könnte, aber nicht, wie sie darauf kommen, dass das Hanna sein soll. Zum Anderen bekam der Prozess ein weiteres absurdes Kapitel, denn nachdem wir an vorherigen Prozesstagen schon stundenlang Videos aus Trambahnen und Bussen gesehen hatten, sahen wir heute mehr als eine Stunde lang Leuten beim Einkaufen bei Decathlon in Budapest zu, weil sich darunter auch Beschuldigte befinden sollen.

Pünktlich um 9:30 Uhr kam Hanna unter Applaus in den Saal, sieben Minuten später folgte mit der üblichen leichten Verspätung der Senat. Vor Beginn des Programms gab Verteidiger Stolle sein Einverständnis, dass eine ungarische Zeugin per audiovisueller Zuschaltung in den Gerichtssaal vernommen werden kann, nicht aber für den ebenfalls geladenen vermeintlich Geschädigten Tóth. Sollte das Gericht dennoch beschließen, ihn audiovisuell zu vernehmen, werde er Widerspruch dagegen einlegen.

Nachdem diese Angelegenheit geklärt war, kam – wie an den vorherigen Prozesstagen hinter einer FFP2-Maske verborgen – die LKA-Bullin Büttner in den Gerichtssaal. Sie sollte unter anderem den Identifizierungsvermerk zu Hanna vorstellen. Absurderweise hatte sie diesen nicht einmal selbst verfasst. Nachdem bislang bei allen Identifizierungsvermerken die Verfasser*innen geladen waren, war dies also nun ausgerechnet bei Hanna, die im Bericht als unbekannte weibliche Person 15 (UWP15) erkannt werden wollte, nicht der Fall. Da sie letztlich nur mit etwas Fallwissen beschrieb, was zu sehen war, bemerkte Verteidiger Ziyal süffisant: „Das kann ich auch. Dann können wir Platz tauschen und ich setze mich da hin.“ Letztlich wurde wieder nur an der Bekleidung nachvollzogen, dass es sich auf verschiedenen Bildern und Videos rund um die Angriffe auf Tóth und Dudog um die selbe Person handeln könnte. In den Videos vom Angriff auf Tóth soll diese dessen linken Arm festgehalten haben. Ein später verfasster Ergänzungsvermerk ging noch auf eine Tättowierung ein, die auf dem Video eines Gaststättenbesuchs kurz zu sehen war und verglich sie mit einer ED-Aufnahme von Hannas Unterarm. Letztlich waren die Bilder aus der Gaststätte aber so unscharf, dass nicht mehr zu erkennen war, als dass die Person irgendeine Art von Tattoo auf dem Unterarm trägt. Auf die Frage vom Vorsitzenden Richter Stoll, wer auf die Idee gekommen sei, dass es sich um Hanna handle, antwortete sie, ihre Kollegin Pump, die den Bericht verfasst hatte, habe dies sich selbst erschlossen. Da der Bericht aber keine Vergleichsbilder von Hanna enthielt, blieb unklar, wie genau die Identifizierung funktioniert haben soll. Büttner bestätigte aber, Pump habe im Arbeitsprozess keine Zweifel geäußert. Darüber hinaus verwies sie auf weitere Berichte von Kolleg*innen, u.a. ein Gesichtsgutachten. Teilweise erkannte Büttner auf den Bildern auch wieder Details, die dort beim besten Willen nicht zu sehen waren. In einem Fall verwies sie auf Nachfrage des Vorsitzenden Richter Stoll darauf, sie habe dazu auch andere, bessere Kameras eingesehen. Auf die Nachfrage Stolls an Verteidiger Ziyal, ob dieser mit der Antwort zufrieden sei, antwortete dieser nur resigniert: „Nee, aber es wird ja auch nicht besser.“ Die Verteidigung hielt Büttner auch noch einen Ergänzungsvermerk ihrer Kollegin Pump vor. In diesem erläuterte sie, dass Pigmentflecken im Gesicht von Hanna, die auf ED-Bildern erkennbar waren, auf den Bildern in Budapest nicht zu finden seien und daher eine eindeutige Identifizierung nicht möglich sei. Rechtsanwalt Stolle fragte, wie das mit Büttners Aussage zusammenpasse, Pump habe keine Zweifel geäußert. Daraufhin entstand eine Diskussion mit dem Vertreter des GBA Vogler über die Zulässigkeit der Frage und mit den Richter*innen darüber, ob der Satz zur Unmöglichkeit der Identifizierung nur auf die Pigmentflecken oder auf Hanna insgesamt bezogen seien. Richter Reichenberger las daraufhin den Vermerk vor. Dort stand: „Nach Sichtung der Videoaufnahmen ist festzustellen, dass in Bezug auf die individuellen Merkmale, insbesondere die Pigmentflecken, keine eindeutige Aussage getroffen werden kann, ob es sich bei der UWP 15 um [Hanna] handelt.“ Ausschließlich auf die Pigmentflecken war die Aussage also wohl nicht bezogen.

Im Anschluss stellte Büttner noch zwei weitere Videoauswertevermerke vor, auf denen sie relevante Personen entdeckt haben wollte. Sie erklärte zum ersten Vermerk, sie habe sich bei der Auswertung nicht auf Vorarbeit gestützt, sondern jeweils die ganzen Videos gesichtet. Die Auswertung aus Ungarn, wo bereits Bilder der Personen, die zu sehen sein sollen, eingefügt waren, habe sie nicht gekannt. Ob das nun so richtig ist oder nicht, kann natürlich kaum mehr nachvollzogen werden. Der zweite Vermerk bezog sich auf ein sehr kurzes Video, das ein Taxi und zwei aussteigende Personen zeigte. Diese habe sie anhand einer Erkenntnisübermittlung aus Ungarn identifiziert. C. sei gemäß ungarischen Informationen nach ihrer Festnahme von M. abgeholt worden. Anschließend seien beide mit dem Taxi weggefahren. Auf den Aufnahmen sei wohl das Aussteigen am Zielort zu sehen. 

Nachdem Büttner entlassen worden war, gab Verteidiger Stolle eine Erklärung ab, die sich auf den Identifizierungsvermerk zu Hanna bezog. Die Vernehmung von Büttner habe keine Erkenntnisse gebracht, ob die unbekannte weibliche Person 15 Hanna sei. Büttner habe den Bericht einer Kollegin vorgestellt und keine Aussage über vorliegende Vergleichsbilder von Hanna gemacht. Insbesondere hätte ihre Kollegin aber selbst geschrieben, dass eine eindeutige Identifizierung nicht möglich sei.

Im Anschluss an die Mittagpause wurde dann die LKA-Bullin Kästner vernommen. Zunächst ging sie auf kleinere Arbeiten von ihr ein, wie Finanzermittlungen zu Beschuldigten und Mautverstöße einer Person rund um den Tag der Ehre ein Jahr vor den Angriffen. Einen Bezug zu Hanna gab es jeweils nicht. Anschließend stellte sie in aller Ausführlichkeit ihren Decathlon-Auswertebericht vor. Es wurden Videos aus dem Decathlon Budapest vom Tag vor dem ersten Angriff gesichtet, auf denen Beschuldigte unvermummt zu sehen sein sollen. Die Richter*innen hatten diese offenbar noch genauer angeschaut als Kästner und wiesen sie auf relevante Personen hin, die diese in ihrem Bericht übersehen hatte. Insgesamt war es äußerst grotesk: Nachdem alle Personen schon auf Videos auf der Rolltreppe, der Verkaufsfläche und im Kassenbereich gezeigt worden waren, lief gefühlt endlos lang auch noch der Eingangsbereich über die Leinwand. Was genau der Erkenntnisgewinn sein sollte, denselben Personen aus dieser Perspektive noch beim Betreten und Verlassen des Ladens zuzusehen blieb unklar, v.a. wurde aber auch kaum vorgespult, sodass bis zu sieben Minuten Video am Stück lief, ohne dass eine beschuldigte Person ins Bild kam. Nachdem alle diese meditative Einheit überstanden hatten, wurde noch aus der ungarischen Polizeiakte vorgelesen, wobei Kästner angab, diesen Vermerk nicht gekannt zu haben. Darin beschrieben die ungarischen Cops, dass sie auf die Idee gekommen waren, die Bilder beim Decathlon zu sichern, weil auf den Aufnahmen an der Unterkunft der Beschuldigten, eine beschuldigte Person mit einer Decathlon-Tüte aufgetaucht sei. Im Decathlon hatten die Cops dann sogar Kopien der Einkaufsbelege erhalten und die Einkäufe rekonstruiert. Ob die gekaufte Kleidung auch bei Angriffen verwendet wurde, wusste Kästner auf Nachfrage allerdings nicht. Um kurz nach 15 Uhr war es dann auch am zehnten Prozesstag geschafft und Hanna verließ unter dem Applaus des solidarischen Publikums den Saal.