Auch heute mussten wir ohne Mikrofonanlage auskommen. Die Richter*innen bemühten sich zwar im Vergleich zum Vortag öfter, lauter und deutlicher zu sprechen, was die Verständlichkeit an Stellen verbesserte. Insgesamt blieb es aber unmöglich, alles zu verstehen, weshalb auch dieser Bericht nicht alles beinhaltet.
Heute gab es keine Zeug*innen, stattdessen wurden Urkunden verlesen, konkret: Polizeiberichte und Ergebnisse von ärztlichen Untersuchungen. Als Sachverständiger war Rechtsmediziner Prof. Eisenmenger anwesend, der in dieser Phase des Prozesses (noch) nichts sagt, aber sich die Urkundenverlesungen anhört.
Zu Beginn wurden zwei Stellungnahmen zur Vermessung von Hanna verlesen. Die Verteidigung hatte diese angefordert. Richterin Wosylus erklärte, dass noch nicht alle Statements vorliegen, aber die, die schon da sind, verlesen werden. Offenbar hat das Gericht die Statements vorab der Verteidigung auf einer CD zukommen lassen, womit diese auf die Schnelle nicht viel anfangen konnte und entsprechend die Stellungnahmen auch zum ersten Mal hörte.
Wie wir von der sehr fragwürdigen Metodik der digitalen Forensik und dem zur Beauftragung vorgesehenen Forensic Science Investigation Lab der Hochschule Mittweida schon wussten (vielleicht habt ihr darüber in unserem Bericht vom 4. Prozesstag schon gelesen; mehr erfahrt ihr unter https://de.indymedia.org/node/498222), musste Hanna sich am Tag der Vermessung größtenteils entkleiden und eine höchst übergriffige Maßnahme über sich ergehen lassen. Nach Angaben der Justizbeamt*innen hätte sie sich dabei nicht gewehrt, aber die Untersuchung auch nicht unterstützt, wodurch unmittelbarer Zwang zur Anwendung kam. Bei diesen Schilderungen sind wir froh, dass die Mikrofonanlage nicht funktionierte. Trotzdem ist der Großteil der vorgelesenen Statements gut verständlich, und die Wut über das Gehörte sitzt erstmal tief.
Nach der Verlesung der Statements stand der Hauptteil des Verhandlungstages an: Verlesung von Urkunden ungarischer Dolmetscher, Polizeibeamter und Ärzte. Die Dolmetscher haben mit Zeug*innen gesprochen: Dem als Geschädigten angenommenen Fascho Toth und einer Zeugin und einem Zeugen, die Angriffe beobachtet hatten. Der Fascho Toth will offenbar nach wie vor nicht in Deutschland vor Gericht aussagen. Zuerst war er noch bereit, per Videovernehmung auszusagen; in einem zweiten Gespräch mit einem Dolmetscher lehnte er aber auch das ab. Die Zeugin möchte auch gar nicht aussagen. Der weitere Zeuge kann sich vorstellen, nach München zu kommen.
Dann wurden übersetzte Polizeiberichte verlesen. Verschiedene ungarische Bullen berichten darin, wie sie zu den Orten des Überfalls gerufen wurden, was sie gesehen haben, welche Beweise sie sichergestellt haben, welche Zeug*innen wie befragt wurden etc. Der Bulle, der Toth als erstes ansprach, hat festgehalten, dass der Fascho „in stabilem Zustand und in guten Händen“ gewesen sei.
Als Beweise werden an dieser Stelle eingeführt: Kameraufnahmen, Blutproben von einer Blutlache am Boden, ein Bonbon, ein Schuhabdruck, ein Kaugummi in seinem Papier – Alles auf den Zentimeter genau notiert. Die zwei Aufnahmen der Tat von Kameras direkt am Tatort wurden nochmal gezeigt. Weil auf einer der Kameraufnahmen schon am Tattag selbst ersichtlich war, dass die Angreifenden Handschuhe trugen und nichts berührten, wurde von einer umassenderen Spurensicherung abgesehen. Auch ein Spürhund kam nicht zum Einsatz, aufgrund des starken Personenverkehrs rund um den Tatort.
Weiter gings mit der Verlesung von ärztlichen Berichten. Zunächst bzgl des Faschos Toth, der von einem Rettungswagen inkl. Polizeieskorte in ein budapester Krankenhaus gebracht wurde – und dabei offenbar neben seinem Personalausweis auch seinen Waffenschein dabei hatte, wie aus den Berichten hervorgeht. Verschiedene Ärzte diagnositizierten: Klares Bewusstsein, linke Pupille geweitet, tränende Augen, Schwindelgefühl, Platzwunden am Kopf. Abgesehen davon allerdings keine größeren Verletzungen bzw., im Fachjargon, „keine Anzeichen für durchdringende Schäden“.
Richter Stoll unterbrach um 11:32h für die Mittagspause. Um 12:48h ging es weiter mit der Verlesung von Urkunden. Als nächstes ging um das gerichtsmedizinische Gutachten aus dem Verfahren gegen Ilaria Salis, wo ebenfalls der Angriff auf Toth beschrieben und die Verletzungen dargestellt wurden, die dabei entstanden sein sollen. Aus diesem Gutachten ging ebenfalls hervor, dass die Verletzungen nicht lebensbedrohlich waren: „Die Verletzungen schließen eine Mobilität des Opfers nach den Verletzungen nicht aus. […] Die auf den Körper des Opfers eingewirkte Gewalt war nicht stark genug, um lebensbedrohliche Verletzungen herbeizuführen.“
Daraufhin erklärte Rechtsanwalt Ziyal, dass dieses Gutachten die Ansicht der Verteidigung zu den in Augenschein genommenen Videos bestätige, wonach die Handlungen gegen Toth nicht geeignet waren, diesen lebensbedrohlich zu verletzen.
Richter Stoll rief weitere übersetzte Urkunden zur Verlesung auf, als nächstes zum Tatkomplex IV. Wir hörten zuerst aus einem Tatortsicherungsbericht, wie ein Budapester Bulle einen schwarzen Schal auf der Straße fand, nachdem er erfahren hatte, dass es Angriffe gab und eine der flüchtenden Personen einen Schal trug. Oder wie ein anderer Bulle am vermeintlichen Tatort ankommt und verschiedene lokale Begebenheiten registriert: Das Wetter, die Beschaffenheit des Platzes, etc. Und wie er dann erste Hilfe leistet und die Fahndung einleitet. Außerdem hören wir weitere ärztliche Berichte zu den vermeintlich Geschädigten Lazlo Dudog und Orsolya Fábián. Auch hier stellte sich heraus, dass keine lebensbedrohlichen Schäden entstanden sind. Die sehr detaillierte Beschreibung des Zustands der Blase des Patienten führte bei Richterin Wosylus und Richter Stoll zu einem kurzen Lachflash, den sie nur mühsam unterdrücken konnten.
Die zuletzt von Richter Reichenberger vorgetragenen übersetzten Berichte waren sehr schwer verständlich. Nach dem Verlesen des letzten übersetzten medizinischen Berichts war der Tag vorbei. Weiter gehts, nach einer Osterpause, am 29.04. um 09:30h, dann wieder mit Zeug*innenvernehmungen. Hoffentlich mir reparierter Mikrofonanlage.