27.05.2025 – Bericht vom 19. Prozesstag

Heute wurden drei Zeug*innen aus dem polnischen rechtsextremen Spektrum vernommen: Rafal Baran und seine Frau Justina Baran sowie Bartlomiej Wilk. Die Zeug*innen wollten nicht nach München reisen, weil sie Angst um ihre körperliche Unversertheit haben und der Senat den gewünschten Polizeischutz für ihren gesamten Aufenthalt nicht organisieren wollte. Deshalb waren sie per Videoschalte aus einem Gericht in Polen zugeschaltet. 

Nach der Vereidigung der Dolmetscherin und der Einrichtung des Videocalls begrüßte der Vorsitzende Richter die zugeschalteten Zeug*innen im polnischen Gericht und erläuterte den Ablauf des heutigen Tages. Rafal Baran wurde als erster vernommen, Justina Baran und Bartlomiej Wilk verließen dafür den polnischen Gerichtssaal. Etwas umständlich wurden die Personalien festgestellt, und dann wurde Baran gebeten, zu schildern, was im Februar 2023 in Budapest passiert sei. Baran führte aus, wie er mit seiner Frau in der Früh am besagten Tag in Budapest angekommen sei, die Koffer in der Wohnung verstaut habe und dann zum Frühstücken wollte. Beim Durchsehen von Menüs verschiedener Restaurants habe er plötzlich einen Schlag gespürt, wobei er zunächst überzeugt gewesen sei, dass es sich um einen Radfahrer handelte. Als er sich umdrehte, habe er mehrere Personen gesehen und sei kurz darauf zu Boden gegangen, während er Schläge am Kopf und an den Fingern spürte. Am Boden hätte er nicht mehr viel mitbekommen, nur dass sein Freund Wilk irgendwann Pfefferspray eingesetzt hätte, von dem sie zu diesem Zeitpunkt noch nicht wussten, dass es in Ungarn illegal ist. Nach wenigen Minuten sei alles vorbei gewesen und nach medizinischer Versorgung in einem Budapester Krankenhaus seien sie noch am selben Tag wieder zurück nach Polen gefahren. 

Der vorsitzende Richter wollte nach dieser ersten Darstellung verschiedene Details wissen: Ob der Zeuge vor dem Angriff irgendetwas auffälliges bemerkt habe (nein); wo genau ihn wie viele Schläge getroffen haben und wie und von wem sie ausgeführt worden seien; welche Verletzungen dabei genau entstanden seien und welche anderen Nachteile er durch den Vorfall hatte. Zu vielen der Fragen konnte Baran nur mutmaßen. Er hätte die medizinische Dokumentation verloren und könne deshalb viele Angaben nur schätzen. Auch sein Handy funkte ihm einmal wortwörtlich dazwischen und er musste die Aussage kurz unterbrechen. 

Als nächstes befragte ihn der Vorsitzende zu den Hintergründen seiner Reise nach Budapest. Baran führte aus, dass er und seine Frau rein touristisch ins „preisgünstige“ Budapest gereist seien. Als ihn der Richter direkt auf den „Tag der Ehre“ ansprach und ihn fragte, ob er deshalb nach Budapest gekommen sei, verneinte Baran und wurde ausweichend. Er habe erst nach dem Vorfall von der ungarischen Polizei von der Veranstaltung erfahren und als Pole könne er an so einer Veranstaltung sowieso unmöglich teilnehmen. Der Vorsitzende war verwirrt und hakte merhmals nach, was der Zeuge meine, wobei Baran mehrmals betonte, dass der Tag der Ehre mit der „SS Wehrmacht“ zusammenhänge und er als Pole daran nicht teilnehmen könne. Der vorsitzende Richter fragte ihn dann recht direkt, ob seine Einstellung „national“ und „rechts“ sei. Baran lachte und erklärte: „Ich bin kein Chauvinist, kein Rassist, ich bin ein Konservativer“. Der Richter konfrontierte ihn draufhin damit, dass online Bilder von ihm zu finden sind, die ihn mit einer Flagge der rechtsextremen polnischen Partei „Ruch Narodowy“ zeigen, worauf Baran antwortete, dass sein Interesse für diese Partei und ihre Politik erst nach dem Angriff in Ungarn entstanden sei und er in Budapest wirklich nur zur Erholung gewesen sei, seine Frau niemals mit dabei gewesen wäre, wenn die Reise einen politischen Anlass gehabt hätte und er sich damals noch gar nicht wirklich politisiert hatte, auch wenn ihm „Personen von Ruch Naradowy“ nahestehen. Und dass er nicht verstehe, warum es um seine politische Gesinnung gehe.

Die Übertragsungsqualität des Livestreams aus dem polnischen Gericht war äußerst dürftig, insbesondere die Videoqualität litt stark unter dem Sonneneinfall im Münchner Gerichtssaal auf die Leinwand. Und trotzdem war manchmal erkennbar, dass Baran während seiner teilweise wirren und widersprüchlichen Aussagen zu seiner politischen Haltung ein recht breites Grinsen auf den Lippen trug. 

Auch die anderen Richter*innen hatten Fragen: Ob Baran die ganze Zeit bei Bewusstsein war (ja), was er die Angreifenden hat rufen hören und in welche Richtung die Angreifenden weggelaufen seien. Richter Reichenberger hatte Fragen zu Anreise und Unterkunft von Baran, und vergewisserte sich außerdem, dass Baran die Unmöglichkeit seiner Teilnahme am „Tag der Ehre“ mit dem Wort „Okkupacja“ begründet hatte, worauf sich der Dolmetscher im polnischen Gerichtssaal über die Videoübertragung einschaltete: „Da kann natürlich kein Pole teilnehmen, das waren ja auch die Besatzungsmächte von Polen, das ist ja kein Anlass für Polen zu feiern.“ Richterin Hamel hatte Fragen zu den Einstellungen von Barans Social Media Kanal, wie lange Baran in Budapest bleiben wollte (eine Woche) und was es mit der Aussage auf sich habe, dass er glaube, er wurde deshalb angegriffen, weil er und die anderen beiden für russisch bzw. ukrainisch gehalten wurden (Baran nannte das als einzige Erklärung, die ihm eingefallen sei).

Die Generalbundesanwaltschaft fragte nach, an welchem Bahnhof sie angekommen seien und in welcher Straße die Unterkunft war, woraufhin der Zeuge beide Male an seine Partnerin verweist – bei den Barans ist die Organisierung von Reisen offenbar Frauensache. Beim Einkaufen in Budapest sei ihm auch nichts besonders aufgefallen. Eine OP an seinen Fingern sei nicht notwendig gewesen und seinen Dienstausfall durch Krankschreibung nach dem Vorfall kann Baran auch nicht genau beziffern. Der Sachverständige wollte dann wissen, ob Baran dem Rettungsdienst in Budapest gesagt hätte, er sei mit einem Baseballschläger geschlagen worden (weiß er nicht) und erkundigte sich, ob Baran noch heute unter Kopfschmerzen leide (nein). 

Fragen der Verteidigung zum Weglaufen der Gruppe und dem von seinem Freund eingesetzten Pfefferspray konnte Baran nicht wirklich beantworten, er gab aber an, dass er nach der ersten polizeilichen Vernehmung am Tag des Vorfalls in Budapest einige Monate später noch einmal von der ungarischen Polizei vernommen wurde, per Videoschalte, und dass ihm dabei Fotos von einzelnen Verdächtigen gezeigt wurden, die allerdings sehr unscharf gewesen seien. Daraufhin wurde der Zeuge Baran entlassen, er wurde noch „gebeten“ mit den anderen beiden Zeug*innen nicht über Details seiner Befragung zu sprechen, bevor sie vernommen werden.

Nach 15 Minuten Pause ging es mit Bartlomiej Wilk weiter. Auch er wurde nach der Überprüfung seiner Personalien aufgefordert, den Vorfall aus seiner Sicht zu schildern. Wilk erzählte mehr oder weniger genau die gleiche Geschichte wie Baran: Ankunft in der Früh in Budapest, Zeug in die Unterkunft, Suche nach Frühstücksrestaurant, dann plötzlich Angriff. Auch er hätte zunächst gedacht, dass ein Fahrradfahrer „gegen uns gefahren“ sei. Als ihm klar geworden sei, dass es sich um einen Angriff durch eine Gruppe handelte, sei er weggelaufen. Dabei hätte er noch einen Schlag gegen den Kopf bekommen. Kurz darauf hätte er sich erinnert, dass er ein Pfefferspray dabei hatte, und hätte das gegen eine ihn verfolgende Person eingesetzt, woraufhin die Gruppe weggelaufen sei. Nach erster Hilfe und Behandlungen in einem Budapester Krankenhaus seien sie wieder zurück nach Polen gefahren.

Auch Wilk wurde daraufhin gefragt, ob ihm vor dem Angriff irgendetwas besonderes aufgefallen sei (nein), wann und wo genau ihn wie viele Schläge (einer) getroffen hatten und wie und von wem sie ausgeführt worden seien; wohin genau er gelaufen sei, wie genau er das Spray gegen wen eingesetzt und wie er insgesamt die Angreifenden wahrgenommen hatte. Auch Wilk konnte auf viele der Fragen keine eindeutigen Antworten geben, missverstand einiges, mutmaßte viel. Zur Frage des Hintergrundes seiner Reise gab er ebenfalls an, rein aus touristischen Gründe gekommen zu sein, obwohl er bereits vor der Reise vom „Tag der Ehre“ gewusst hätte. Das Spray hätte er aus Gewohnheit in der Jackentasche, da er oft wandern würde. Er könne sich nicht erklären, wieso gerade er angegriffen wurde, er sei ganz normal angezogen gewesen – bei einer ersten Vernehmung in Budapest hatte auch er zu Protokoll gegeben, dass er vermute, er und seine Begleiter*innen seien für russisch oder ukrainisch gehalten und deshalb angegriffen worden. Dann bestätigte Wilk noch, dass es von ihm online Bilder gibt, die im Zusammenhang mit „Ruch Narodowy“ stehen, und betonte, dass das keine rechtsextreme Partei sei, höchstens rechts.

Mittagspause! (Etwa eine Stunde später als sonst).

Nach der Pause sagte Frau Justina Baran aus. Sie beschrieb den 09. Februar im Wesentlichen so, wie die anderen beiden, nur dass sie nicht zunächst dachte, sie sei von einem Fahrradfahrer angefahren worden, sondern direkt von einem Angriff ausging. An viele Details des Vorfalls kann sie sich nicht erinnern; Verletzungen erlitt sie am Kopf und am Unterarm. Im Unterschied zu ihren Begleitern brachte sie den Vorfall mit dem „Tag der Ehre“ in Zusammenhang und gab an, dass sie davon ausging, dass sie von den Angreifenden für Teilnehmende der Veranstaltung gehalten worden seien. Der Vorsitzende Richter konfrontierte auch sie mit dem Bild, das ihre Begleiter mit der „Ruch Narodowy“-Flagge zeigt, zu dem sie nicht mehr sagen konnte, als dass darauf Herr Baran und Herr Wilk zu sehen sind. An dieser Stelle schaltete sich erneut der Dolmetscher im polnischen Gerichtssaal ungefragt ein und betonte, dass „Ruch Narodowy“ „eine ganz normale Partei in Polen“ sei. Ihm schien es ein großes Anliegen, dem deutschen Gericht zu vermitteln, dass die polnischen Zeugen gesittete Bürger und keine Rechtsextremen seien.

Der Vorsitzende Richter wollte abschließend noch unbedingt herausfinden, wann genau das Foto von Herrn Baran und Herrn Wilk entstanden ist. Er entließ die Zeugin Baran unvereidigt und bat zuerst Herrn Baran und dann Herrn Wilk nochmals in den Gerichtssaal; die Frage konnte allerdings durch keinen der beiden abschließend geklärt werden, auch dann nicht, als Wilk auf seinem Handy nachsah. Wilk wurde daraufhin gebeten, eine Email zu schreiben, falls er in den nächsten Tagen noch ein Foto der beiden finde.

Abschließend erklärte die Verteidigung, dass aufgrund der teilweise schlechten Übertragung die Beweiskraft der heutigen Aussagen geschmälert sei, vor allem, weil die Mimiken der Befragten kaum ersichtlich waren. Danach wurden noch nächste Zeug*innen angekündigt: Am 04.06. Fritz von der SOKO LinX und Dirk Labudde von der Hochschule Mittweida, der für den 3D-Körperscan bei Hanna zuständig war, am 05.06. Hildebrand vom LKA München und Bezeredi, der die Auswertung zur Kazcinzystraße gemacht hat.