Plädoyers von Bundesanwaltschaft und Nebenklage
Zu Beginn richtet der Vorsitzende Richter das Wort mal wieder an die Besucher*innen: bei den anschließenden Plädoyers der Bundesanwaltschaft und der Nebenklage ist (wie immer) „jegliche Äußerung zu unterlassen“, Applaus oder andere Formen der Meinungsäußerung können mit bis zu 1.000€ Ordnungsgeld oder bis zu einer Woche Ordnungshaft bestraft werden.
Dann wird die Beweisaufnahme geschlossen und die Bundesanwaltschaft (BAW) beginnt ihren Schlussvortrag:
Die BAW sieht den zur Anklage gebrachten Sachverhalt als erwiesen, auch wenn der Gründungszeitpunkt der kriminellen Vereinigung nicht geklärt ist, steht fest, dass es eine Vereinigung gab. Hanna soll sich spätestens im Februar 2023 der Vereinigung angeschlossen haben. „Ohne dass es darauf ankäme“ handle es sich um „eine Kontinuität eines Personenzusammenschlusses“ aus Leipzig, also der sogenannten „Antifa Ost“. Die Angriffe sollen auch nach dem gleichen Muster wie die im Antifa-Ost Verfahren vorgeworfenen Angriffe abgelaufen sein: „personelle Überlegenheit, überraschender Angriff, ca. 30 Sekunden, möglichst viele Schläge mit Werkzeugen und Tritte, Rückzug unter Einsatz von Pfefferspray“ in kleinen Gruppen in verschiedene Richtungen und teilweise sollen dabei Bekleidungsgegenstände gewechselt worden sein.
Dann werden alle Tatkomplexe nochmal aufgelistet und die vermeintlichen Abläufe geschildert, dass bei manchen Opfern eine Lebensgefahr hätte eintreten können wird dabei deutlich stärker betont als die Tatsache, dass sich keiner der Geschädigten tatsächlich mal in Lebensgefahr befunden hat. Außerdem sei es nur Zufall, dass Toth nicht tot ist.
Als zentrale Beweismittel werden die unzähligen Überwachungsvideos aus Ungarn genannt, zwar seien die vermeintlichen Mitglieder der Vereinigung nicht „auf allen Videos gut zu erkennen“, dennoch tauchen immer wieder ähnliche oder gleiche Kleidungsstücke auf. Die auf 2 Videos zu sehende Bargeldzahlung sei „besonders klandestin“, ebenso die Verwendung von Tastenhandys.
Hannas Anwesenheit in Budapest sei „durch Videos belegt“, sie sei „eindeutig identifiziert“ und die BAW ist „überzeugt“, dass es sich bei der UWP15 um Hanna handle.
„Auch wenn die Methode nicht standardisiert ist, stellt das Gutachten [von Dirk Labudde] ein weiteres Indiz dar“, auch ein bei der Hausdurchsuchung gefundener Silberring wird als Indiz genannt.
Dann wird rechtlich ausgeführt:
Die Bundesanwaltschaft sieht die Vorwürfe „versuchter Mord“ und „gefährliche Körperverletzung als bewiesen, und die kriminelle Vereinigung §129 Abs. 1 und 2 ebenfalls.
Hanna soll zwar „keinen direkten Vorsatz“ für einen Mordversuch gehabt haben, sie habe den Tod von Toth aber „billigend in Kauf genommen oder sich zumindest damit abgefunden“. Die „Gleichgültigkeit“ über die Opfer sei ausreichend und es gäbe „ausreichend Indizien für einen Tötungsvorsatz“. Auch wenn Hanna keine direkten Schläge oder Tritte vorgeworfen werden, gilt ihr Handeln als „gleichwertig“ zu dem der Anderen. Lebensgefährliche Verletzungen hätten auftreten können, „objektiv handelt es sich um äußerst gefährliche Gewalt“.
Außerdem handle es sich um „niedere Beweggründe“, die politische Tatmotivation sei „zu verachten“.
Strafmildernd wird die lange U-Haft, Hannas „körperliche Leiden“ in Haft, die fehlende Beteiligung an der „zentralen Planung“ der Angriffe, die „billigende Inkaufnahme“ anstelle eines Mordvorsatzes, die mediale Aufarbeitung, der schwerwiegende Einschnitt in Hannas Kunstkarriere und die nicht vorhandenen Vorstrafen genannt. Strafstärkend wird der Organisationsgrad der Gruppierung, die Gefährlichkeit der Tathandlungen, die „extreme“ Strukturiert- und Entschlossenheit, das „vorab einstudierte Muster“ und die Überzahl der Angreifenden gegenüber den Opfern genannt.
Für den Angriff auf Toth, der nach der BAW als „versuchter Mord und gefährliche Körperverletzung in Tateinheit mit der Mitgliedschaft in einer kriminellen Vereinigung“ bestraft werden soll, hält die BAW eine Einzelstrafe von 7 Jahren und 6 Monaten für „Tat- und Schuldangemessen“.
Für den Angriff auf Brinkmann und Fischer, gefährliche Körperverletzung in zwei Fällen in Tateinheit mit der Mitgliedschaft in einer kriminellen Vereinigung, eine Einzelstrafe von 4 Jahren und 6 Monaten.
Daraus ergibt sich die Forderung nach einer Gesamtstrafe von 9 Jahren Haft plus die Übernahme der Verfahrenskosten.
Nach einer 15 minütigen Unterbrechung sind die Anwält*innen der Nebenklage dran:
Nicole Schneiders, die Fischer vertritt, schließt sich den „zutreffenden Ausführungen“ der Vertreterinnen der BAW an, es handle sich hier um ein „Hassverbrechen“, ihr Mandant sei als Opfer ausgewählt worden weil er die „falsche Jacke“ getragen und ein „falsches Konzert“ besucht hat. Außerdem spricht sie von einem „absoluten Vernichtungswillen“ der Beschuldigten. Sie fordert zusätzlich der Angeklagten die Kosten der Nebenklage aufzuerlegen.
Bei Herr Schlüter, dem Vertreter von S. Brinkmann wird es wild: er spricht von „Hass von kaum vorstellbaren Ausmaß“, der weder zu rechtfertigen noch zu entschuldigen sei „und sie zeigen alle nicht das Geringste an Reue“, das kann er „menschlich nicht nachvollziehen“. Brinkmann leide bis heute unter den psychischen Folgen, sie drehe sich aus Angst vor einem erneuten Angriff alle 50 bis 100 Meter um. Hanna solle sich mal „in die Lage der Opfer versetzen“ oder „überlegen was wäre, wenn Frau Brinkmann tot gewesen wäre“, wie es der Familie damit ginge und so weiter. Das alles „nur weil ihr Begleiter eine Thor Steinar Jacke trägt“, schließlich sähe Brinkmann ja links aus wegen ihrer Dreadlocks. Außerdem würde der Begriff „Nazi“ heutzutage inflationär benutzt, alle die nicht Mainstream sind, sind „Nazis“.
Er habe versucht zu verstehen „warum sie das getan haben“, sein Fazit: die Welt sei von Hass und Angst durchzogen. „Wie können wir es schaffen, dass die Gesellschaft wieder funktioniert?“ – für Schlüter ganz klar: Indem wir „auf den Schöpfer, also Gott, blicken“ – „unser Schöpfer und dann läuft das“. Auch in der bayrischen Verfassung sei „Erfurcht vor Gott“ das oberste Erziehungsziel in Schulen. Wir als Gesellschaft würden darauf aber nicht ausreichend achten. Diese Gleichgültigkeit sei das Problem, deswegen wurde er auch bei der vorherigen Sitzung am Eingang durchsucht – „da fängt’s nämlich schon an“.
Schlüter „hofft und betet“ für Hanna, auch wenn die Angriffe „an Niederträchtigkeit kaum zu überbieten“ seien. Trotzdem sehe er „Hanna als Mensch“, er mache sie nicht „zum Objekt“ und habe sich auch dafür eingesetzt, dass sie die Junge Welt in den Knast geschickt bekommen darf, denn er vertraut dem Verfassungsschutz „auch nicht uneingeschränkt“.
Er stellt „heute bewusst keinen Antrag“, beantragt aber, dass Hanna die Kosten der Nebenklage auferlegt werden.
Zu guter Letzt sollen wir auf irgendeinen Psalm gucken, wir sollen „das Licht des Erlösers Jesu“, der „uns Allen vergibt“ mit nach hause nehmen – für eine „gerechte Entscheidung“. Er wünscht gute Gedanken und damit ist der Prozesstag zu Ende.
Beim Verlassen des Saals gibt es starken Applaus für Hanna, weiter geht es am 15. September ab 9:30 Uhr mit dem Plädoyer der Verteidigung.